Kreativität entfesseln

Veränderungen in der Wirtschaft gehen immer schneller vor sich. Die Produktzyklen werden immer kürzer. Kam ein neues Auto vor 30 Jahren alle 12 Jahre auf den Markt, so sind es mittlerweile alle 5-7 Jahre. Kreativität, die Basis aller Innovationen, ist der Motor der Ökonomie. Aber nicht nur in der Wirtschaft ist Kreativität gefragt. Auch in  unserer Gesellschaft spielt sie eine immer größere Rolle. Kreative Menschen genießen einen besonderen Status, egal ob in der Kunst, im Marketing oder im Sport. Dabei ist Kreativität nicht nur in besonderen Berufen wichtig. Kreativ müssen wir in allen Bereichen der Firma sein, ob das jetzt Produktion, Administration oder Logistik ist. Ohne Kreativität keine Neuerungen und Verbesserungen.

Einer der schlimmsten Irrglauben unserer heutigen Zeit ist, dass nur wenige Menschen mit Kreativität gesegnet sind. Total falsch! Jeder kann kreativ sein. Aber Kreativität, die man nicht nutzt, kann sich nicht entwickeln. Sie verkümmert und man hat den Eindruck man hätte keine Ideen. Doch je mehr man sie nutzt, je mehr blüht sie auf.

Was ist denn kreativ?

Viele Wissenschaftler haben sich mit einer Definition abgemüht, aber es hat sich bis jetzt keine der Definitionen durchgesetzt. Auf jeden Fall beinhaltet Kreativität einen schöpferischen Akt, der etwas Neues erfindet und der ein Denken „out of the box“ verlangt. Kreativität ist ein mentaler, schöpferischer Prozess, der neue Ideen in die Welt bringt. Wissenschaftler unterscheiden zwischen alltäglicher und außergewöhnlicher Kreativität. Alltägliche Kreativität ist die Neugestaltung des Wohnzimmers oder die Improvisation bei der Zubereitung eines leckeren Essens. Außergewöhnliche Kreativität ist die auf der Ebene von Fachleuten und Genies, in der Lösungen gefunden werden, die es noch nie auf der Welt gegeben hat. Die Übergänge sind jedoch fließend, doch ist die außergewöhnliche Kreativität nicht nur für die kreative Person von Bedeutung, sondern auch die Allgemeinheit.

Gehirn & Kreativität

Das Gehirn spielt bei der Kreativität eine große Rolle. Die Neurobiologie zeigt uns, dass eine besondere Form von Denken gefragt ist. Wir sind auf der Arbeit oft konzentriert und fokussiert. In diesem Modus kann man im Gehirn Beta-Wellen messen. Sind wir jedoch kreativ, dann sind Alpha-Wellen zu messen. Das ist auch der Zustand, den Wissenschaftler häufig mit “Default” Zustand bezeichnen. Das Gehirn spring von einem Gedanken zum anderen. Andere nennen es “Mind wandering”. Hat man sich lange mit einem Thema beschäftigt, dann läuft in diesem Zustand die Suche unbewusst weiter. Man verbindet bestehende Informationen im Gehirn, zu noch nie dagewesenen Informationen, zu etwas Neuem. Entspannt, einfach sein Gehirn treiben lassen, ist deshalb eine wichtige Voraussetzung für Kreativität.

Kreativität ist ein Prozess

Kreativität ist nicht allein der Moment der spontanen Eingebung. Es stimmt, es gibt diese Momente, die für uns wie Aha-Effekte wirken und augenscheinlich ohne Grund auftauchen. Jede Eingebung ist das Resultat eines kreativen Prozesses, der einige Stunden oder auch Wochen dauern kann. Wenn Sie wissen, wie er funktioniert, dann können Sie sich in Zukunft viel Zeit mit der Ideenfindung sparen. Hier sind die einzelnen Schritte:

1. Frage oder Problemformulierung
Die richtige Frage ist bei der Kreativität unglaublich wichtig. Häufig sind Fragen nicht spezifisch genug und zu allgemein. Sie sind für unser Hirn zu komplex. Stellen Sie also möglichst einfache Fragen.
2. Informationssammlung
In dieser Phase sammeln wir alle Informationen zu diesem Thema. Damit aktivieren wir die notwendigen Netzwerke in unserem Gehirn und fügen weitere wichtige Informationen hinzu.
3. Inkubation
Anschließend machen wir mal bewusst etwas ganz anderes. Wir gehen spazieren, lesen ein Buch oder backen einen Kuchen. Dabei denkt das Hirn unbewusst über die Problemstellung nach. Es arbeitet, ohne dass wir etwas davon merken.
4. Einsicht
Und plötzlich kommt da diese tolle Idee, oder besser noch die vielen Ideen, die eine mögliche Lösung darstellen. Wann sie kommt, kann man nicht genau sagen.
5. Optionen bewerten und Auswahl.
Diese erhaltenen Optionen bewerten wir und suchen die beste Option aus.
6. Implementierung
Hier kommen wir ins Tun und implementieren die beste Option.

Insgesamt können Sie an drei Komponenten ansetzen, um Ihre Kreativität zu erhöhen:
– Expertise: tiefes Wissen, um alle Fakten zusammen zu tragen
– Kreatives Denken: Fähigkeit, um in der Vorstellung Probleme zu lösen
– Motivation: Energie, um mit einer Aufgabe bis zum Ende durchzuhalten

Blockaden

In unserer Gesellschaft gibt es eine Unmenge an mentalen Blockaden, die unsere Kreativität hemmen. Hier kurz die wichtigsten:
– Die Überzeugung: Ich bin gar nicht kreativ! Das ist Unsinn. Jeder hat die Anlage kreativ zu sein. Aber man muss üben und sie nutzen.
– Für jedes Problem gibt es nur eine richtige Antwort. Das ist Unsinn. Es gibt zu jedem Problem eine Unmenge an Lösungen.
– Das ist doch nicht logisch. Viele glauben, eine Lösung müßte logisch sein. Genau, das sind kreative Lösungen meist nicht. Deshalb sind sie kreativ.
Sei mal praktisch. Dieser Satz ist der Killer jeder Kreativität. Kreativität ist genau das Gegenteil. Nicht logisch und auf den ersten Blick auch gar nicht praktisch.
– Strikte Zielorientierung, fixe Lösungswege und Prozess von denen man nicht abweichen möchte
– Starke Bewertungsängste hemmen die Kreativität
– Gedankliche Schranken und Glaubenssätze sind vielleicht die größten Hemmschuhe für Kreativität. Werte und Normen verhindern ein Denken in verschiedene Richtungen, weil man diese im Kopf gar nicht denken darf. Sie kommen durch Erziehung oder kulturbedingte Zwänge zustande.

Diese Blockaden sind richtige Killer. Lassen Sie sich davon nicht irre machen. Im Neuroleadership versuchen wir deshalb, diese Blockaden zu erkennen und in kreative Energien zu verwandeln.

Wie Sie ihre Kreativität steigern können?

  • Halten Sie sich an den Prozess. Beschäftigen Sie sich mit dem Thema aber lassen sie dem Gehirn auch Raum, darüber nachzudenken. Es braucht Inkubationszeit.
  • Beschäftigen Sie sich weniger mit sich selbst. Beschäftigen Sie sich mit der Erforschung der Umgebung
  • Versuchen Sie jeden Tag über etwas zu staunen und etwas Neues zu entdecken. Schreiben Sie täglich auf, worüber Sie erstaunt waren
  • Versuchen Sie, mindestens einen Menschen pro Tag in Erstaunen zu versetzen
  • Wenn Sie einen Funken Interesse verspüren, folgen Sie dem Gefühl
  • Beginnen Sie jeden Morgen mit einem konkreten Ziel, auf das Sie sich freuen können
  • Alles, was sie gut tun, bereitet Freude (verwandeln Sie Alltagsaktivitäten so, daß sie Freude bereiten)
  • Erhöhen Sie die Komplexität einer Aufgabe, wenn Sie unterfordert sind

Fokus für mehr Effizienz

Wir haben in unserem Kopf zwei unabhängige Systeme, die uns steuern. Daniel Goleman nennt das Eine bottom-up und ein top-down System (Daniel Kahnemann nennt sie System 1 und System 2). Das bottom-up System läuft auch unter der Bezeichnung Autopilot. Es steuert viele unserer Verhaltensweisen und Emotionen. Der Autopilot hat Zugriff auf Routinen und Glaubenssätze, die wir im Laufe des Lebens erlernt haben. Kommt durch unsere Sinne ein entsprechender Trigger, werden die passenden Routinen abgespult. Doch das Ganze passiert unbewusst und wir haben darauf keinen Einfluss. Das top-down System hingegen untersteht unserer bewussten Kontrolle. Hier können wir überlegen, abwägen und Entscheidungen treffen. Wir sind so in der Lage strategisch zu handeln.

Der Autopilot

Wenn wir uns nicht auf eine Sache konzentrieren, wird im Gehirn automatisch das sogenannte „Default Netzwerk“ aktiviert oder auch der Autopilot angestellt. Das geschieht immer zwischen zwei Aufgaben, oder wenn Sie nicht mehr aufmerksam sind, oder wenn wir von irgendetwas abgelenkt sind. Messungen haben ergeben, das dieser Zustand, bei den meisten Leuten, mehr als 50% der Zeit einnimmt. Die meiste Zeit beschäftigt das Default-Netzwerk sich mit sich selbst oder mit Stimuli, die einen Einfluss auf das eigene Leben haben können. Sie werden sich stärker bewußt, was Sie stört oder belastet. Das System sucht nach Hinweisen für eine Bedrohung. Sobald etwas Bedrohliches erkannt wird, wird der Körper in einen aktiven Zustand versetzt (siehe Stress & Angst). So kann er sich wehren oder flüchten. Das System ist dabei wie ein Hund, der mal hier und mal da schnuppert und rasend schnell zwischen verschiedenen Eindrücken wechselt.

Sie können diesen Zustand ganz einfach induzieren, indem Sie die Augen schließen und versuchen an nichts zu denken. Dann fangen Ihre Gedanken an zu wandern. Babies haben diese Fähigkeit ab der Geburt. Auch Sie können sich fokussieren und mit einer Sache beschäftigen, sobald Sie damit aufhören, wird aber der Autopilot aktiv. Er reagiert schnell, ist sensibel Emotionen gegenüber und denkt nur sehr kurzfristig. Das System ist jedoch auch wichtig, wenn wir kreative Ideen benötigen. Es verarbeitet im Hintergrund auch das, was uns gerade umtreibt. Verknüpft verschiedene Informationen und schafft Möglichkeiten, die auf einmal in unser Bewusstsein kommen. Das sind dann unsere AHA-Erlebnisse, in denen wir besondere Ideen haben.

Das Top-Down System

Um sich mit einer bestimmten Aufgabe beschäftigen zu können, werden Aktivitäten im medialen präfrontalen Kortex durch den ventrolateralen Kortex gehemmt. Er sitzt genau hinter der rechten und linken Schläfe. Er kann kognitive, emotionale und motorische Reaktionen unterbinden und kontrolliert die Aktivität des Default Netzwerks. Dieses Top-Down System ist uns bewusst und unser Bewusstsein kann Einfluss darauf nehmen. Im Gegensatz zu dem Bottom-up System ist es langsam,

Das System wirkt wie eine Bremse neuronaler ungerichteter Aktivität. Aber, dieses System ist sehr energiehungrig. Man hat festgestellt, dass die Aktivität bei intensiver Nutzung abnimmt. Die Energiereserven müssen erst aufgefüllt werden. Jedesmal, wenn sie einen Impuls unterdrücken, ist es im Folgenden schwerer sich an etwas zu hindern. Ihre eigene Veto-Kraft wird geringer.

Wie kommt dann ein Fokus zustande? Der Präfrontale Kortex, also der hinter unserer Stirn, ist wesentlich an der Regulation unserer Aufmerksamkeit und unseres Verhaltens beteiligt. Ausfälle in dieser Region führen zu einer reduzierten Aufmerksamkeit, höherer Impulsivität, schlechterer Organisation und Planung. Die Funktion wird dabei durch Hormone Norepinephrin und Dopamin reguliert.

Fokus läßt sich lernen

Unser Autopilot möchte gerne unser Leben steuern. Wir können auch sagen, das unser Unterbewusstsein unser Leben gerne über nehmen möchte. Denn das ist äußerst Energie-effizient. Fokus kostet wesentlich mehr Energie. So gut Fokus auch ist, es gibt für unseren Kopf gute Gründe, ihn nicht zu nutzen. Allem Energieverbrauch zu Trotz, sich auf eine Sache zu konzentrieren, muss und kann man lernen. Man kann die Aufmerksamkeit bewusst in verschiedene Bahnen lenken, oder aber schleifen lassen. Fokus hilft uns, verschiedene Optionen zu überdenken, unterschiedliche Szenarien durchzuspielen und möglichst viele Informationen über ein Thema in Betracht zu ziehen. Fokus ist wie ein Muskel, den wir trainieren können. Je öfter wir ihn nutzen, je besser werden wir darin. Fokus ist wichtig für das bewusste Denken und hilft uns in den Flow zu kommen.

Flow ist ein Begriff der von Mihály Csíkszentmihály geprägt wurde. Er beschreibt einen Zustand, wenn Menschen ganz mit ihrer Arbeit verbunden sind. Zeit und Raum werden unwichtig und man ist quasi eins mit seiner Arbeit. Flow erreichen wir, wenn wir herausgefordert werden und wir all unsere Fähigkeiten einbringen müssen, um zu Lösungen zu kommen. Unsere ganze Konzentration gilt einem Ziel, wir lassen uns durch nichts ablenken.

Fokus und Multitasking

Fokussieren können wir uns nur auf eine kognitiv herausfordernde Aufgabe. Wir können keine zwei hochgeistige Aktivitäten auf einmal machen. In unserem präfrontalen Kortex ist nur Platz für eine Aufgabe. Multitasking ist nicht möglich. Wenn wir es versuchen, schalten wir einfach schnell zwischen zwei Aufgaben hin und her. Das bringt natürlich Verluste mit sich, sie werden langsamer. In der Tat hat man festgestellt, dass Menschen, die häufig versuchen Aufgaben nebeneinander zu erledigen langsamer mit der kognitiven Verarbeitung werden, egal ob sie Single-tasking oder Multitasking machen.

Multitasking geht aber doch! Routineaufgaben können Sie mit einer kognitiven Aufgabe kombinieren. Zum Beispiel Bügeln und Telefonieren, oder Auto fahren und überlegen. Weil Routineaufgaben von den Basalganglien übernommen werden, ist im Kortex Platz für andere Aufgaben.

Zu besonderer Berühmtheit ist Phineas Cage gelangt, als 1848 eine Explosion beim Eisenbahnbau eine Eisenstange seinen Kopf durchbohrte. Interessanter Weise gelangte er schnell zu Bewußtsein und konnte nach einigen Wochen wieder zur Arbeit gehen. Sein präfrontaler Kortex wurde jedoch in Mitleidenschaft gezogen. Freunde und Verwandte bemerkten schnell eine Veränderung. Er handelte irrational, war sehr harsch in seinen Bemerkungen und überaus launisch. Sein Kontrollzentrum war bei dem Unfall zerstört worden. Er konnte seinen Fokus nicht mehr richten oder sein Verhalten kontrollieren.

Fokus auf der Arbeit

Für unsere Arbeit hat das weitreichende Konsequenzen. Um effizient an einer Sache zu arbeiten, müssen wir uns Zeit nehmen. Bearbeiten Sie eine Aufgabe mindestens 15 Minuten lang sehr konzentriert, denn erst dann ist Ihr Gehirn warm gelaufen. Schalten sie Störungen wie Telefon und Handy aus, wenn Sie konzentriert arbeiten wollen. Nach jeder Störung muss sich Ihr Gehirn neu einarbeiten, Sie verlieren wertvolle Zeit. Und versuchen Sie erst gar nicht mehrere Aufgaben auf einmal zu erledigen. Das funktioniert nicht. Was dabei hilft ist ein aufgeräumter Schreibtisch auf dem nur ein Vorgang liegt. Und so gut auch eine “Open door” Policy ist für die Kommunikation, ab und zu braucht man auch mal Ruhe, um wichtige Dinge bearbeiten zu können. Versuchen Sie öfter in den Flow zu kommen, aber geben Sie ihrem Default Netzwerk auch Raum für Ideen. In der Balance beider Systeme liegt die Kraft und die Effizienz.

Literatur

D. Kahnemann, Schnelles Denken, langsames Denken; Penguin Verlag 2016

D. Goleman, Focus; Harper 2014

Mihaly Csikszentmihalyi, Flow. Das Geheimnis des Glücks, Klett-Cotta 2019