Hirnregionen

Mittlerweile weiß man recht gut, welche Funktionen die einzelnen Bereiche des Gehirns haben. Ich stelle hier nur kurz die Teile und Regionen dar, die für das Verständnis von Führung wichtig sind. Ein Fakt ist für das Verständnis des Gehirns aber sehr wichtig. Keine der Regionen arbeitet für sich allein. Alle Teile und Regionen sind immer mit vielen anderen verbunden und arbeiten zusammen. Regionen spielen also bei manchen Themen eine entscheidende Rolle, man darf aber nie vergessen, das sie immer mit anderen Teile arbeiten. Funktionen können so nicht eindeutig definiert und lokalisiert werden. Für mehr Informationen verweise ich auf das Buch von Klaus Grawe (Grawe, 2004)

Hippocampus und Gedächtnis

Zu trauriger Berühmtheit wurde in den 50er Jahren Henry Molaison, der unter extremen epileptischen Anfällen litt (Squire, 2009). Ihm wurde 1953 chirurgisch ein großer Teil des medialen Temporallappens, inklusive 2/3 des Hippocampus, entfernt. Die Anfälle gingen daraufhin zurück, gleichzeitig verlor er aber auch sein Vermögen, sich Dinge zu merken. Er konnte sich an nichts erinnern, was er nach der Operation erlebte oder tat. Dafür konnte er sich an Dinge, die längere Zeit zurück lagen, sehr gut erinnern. Es war sogar so, dass er Dinge besser erinnerte, je weiter sie zurück lagen. Er konnte sich auch im Spiegel nicht mehr erkennen, wohl aber auf alten Fotos. Seine Sprache war davon unbeeinflusst und auch seine Intelligenz war durchschnittlich. Er konnte neue Bewegungsabläufe, wie z.B. Golf erlernen, sich jedoch nicht daran erinnern.

Hippocampus

Henry M. hat so entscheidend zu einer Klärung des Gedächtnisvorgangs beigetragen. Teile seines episodischen Gedächtnisses gingen bei der Operation mit dem Verlust des Hippocampus verloren. Sein Kurzzeitgedächtnis ging verloren, das Langzeitgedächtnis blieb jedoch intakt. Offensichtlich speichern wir diese Informationen an verschiedenen Orten. Interessant auch, dass sein Arbeitsgedächtnis und sein prozedurales Gedächtnis (oder auch implizite Erinnerungen) intakt blieb, denn er konnte ja neue motorische Fähigkeiten erlernen.

Wir können daraus folgern, dass der Hippocampus wichtig ist für die Speicherung von episodischen Erinnerungen und deren Konsolidierung. Und er scheint auch wichtig für die Bildung des räumlichen Gedächtnisses. Das wird besonders durch die Studie der Taxifahrer in London unterstützt (Maguire, 2011), deren Hippocampus sich während der Ausbildung erheblich vergrößert. Er speichert die wichtigen Dinge, die im Laufe der Zeit in andere Orte des Gehirns übertragen werden, dem Langzeitgedächtnis.

Interessant am Gedächtnis ist, das nur ein Bruchteil der Informationen unserer Umwelt abgespeichert werden. Es werden nur die für die Person wichtigen Informationen abgespeichert. Wichtig sind die Informationen, die konsistent ins Weltbild passen (siehe ACC) und die Informationen, die zur Zielerreichung (siehe PFC) beitragen. Und diese sind von Mensch zu Mensch unterschiedlich. Das erklärt, warum wir andere Menschen häufig nicht verstehen und warum andere von unserem Weltbild nichts halten. Wichtig für uns als Führungskräfte ist die Frage: Wie erschaffen wir ein ähnliches Bild in den Köpfen unserer Mitarbeiter?

Präfrontaler Kortex (PFC)

Auch hier gibt es einen Menschen, den ein Unfall zur Berühmtheit machte. Phineas Cage war Vorarbeiter bei der Bahn. Im September 1848 ging eine Sprengung schief und eine 3cm dicke und 1m lange Eisenstange bohrte sich unterhalb seines Auges in den Schädel und kam oben wieder heraus. Dabei wurden große Teile seines Präfrontalen Kortex zerstört.

Vor seinem Unfall galt Phineas Cage als ausgeglichen, höflich und smart. Darnach beschrieb ihn sein behandelnder Arzt, Dr. John Martyn Harlow, als unbeständig, sprunghaft, respektlos und ausschweifend. Er konnte keine Pläne für die Zukunft machen und hatte hohe Stimmungsschwankungen. Frauen wurde geraten, wegen seiner derben Ausdrucksweise nicht mehr in seine Nähe zu kommen.

Der präfrontale Kortex ist wohl die Region im Hirn, in der sich Menschen am meisten von Tieren unterscheiden. Er ist mit allen Hirnregionen gut vernetzt und erhält vorprozessierte Signale. Er ist offensichtlich für die Verarbeitung komplexer Informationen zuständig.

PFC

Diese und viele andere Untersuchungen zeigen, dass der Präfrontale Kortex einige wichtige Funktionen besitzt und viel von dem steuert, was uns als Person ausmacht. Zum einen ist er ein wichtiges Kontrollinstrument. Es hält unsere Emotionen unter Kontrolle, bzw unsere Reaktionen auf unsere Emotionen. Zum anderen ist er wichtig für die zielgerichtete Planung, bzw für die motivationale Ausrichtung der Person und deren Ausführung.

Dabei haben der linke und der rechte PFC unterschiedliche Funktionen und sind auch bei verschiedenen Menschen unterschiedlich aktiv. Grob gesagt beherbergt der linke PFC positive Ziele und generiert bei Aktivität positive Emotionen. Ist der rechte PFC werden Vermeidungsziele anvisiert und es kommt zu negativen Emotionen.

Amygdala

Die Amygdala (zu deutsch Mandelkern) stellt eine entscheidende Komponente im Gefahrenabwehrsystem des Gehirns dar. Stellen Sie sich vor, Sie werden mit einem lauten Knall konfrontiert. Über den sensorischen Thalamus werden diese Signale zum lateralen Teil der Amygdala geleitet und als Gefahr interpretiert. Deshalb erschrecken wir auch in diesen Momenten. Denn sofort  mit dem Knall, wird von der Amygdala ein Abwehrreflex initiiert. Durch das autonome Nervensystem beeinflusst,wird Adrenalin und Cortisol ausgeschüttet. Unser Blutdruck und unsere Herzfrequenz gehen nach oben.

Zugleich kommt es zu einer Weiterverarbeitung der eingehenden Signale im sensorischen Cortex. Wir sehen ein altes Auto, bemerken vielleicht die lauten Motorgeräusche und schließen aus der eingehenden Analyse, dass der Motor eine Fehlzündung hatte. Dabei ist auch der Hippocampus involviert, der Kontextinformationen untersucht. Er trägt zur Analyse bei indem er die Gesamtsituation (wir sind zum Beispiel auf einer Oldtimer-Show) einbringt. Mithilfe der verarbeiteten Informationen, wird im präfrontalen Kortex eine Entscheidung getroffen: Eventuell ist die Situation ist nicht riskant und wird so an die Amygdala weitergeleitet. Sofort wird eine Entspannung eingeleitet und der Abwehrreflex wird runterreguliert.

Amygdala

Wäre der Präfrontale Kortex jedoch zu der Schlussfolgerung gekommen, es bestände eine Gefahrensituation, dann wäre die Amygdala weiter aktiv gewesen und hätte mit der Abwehr- und Schutzreaktion weiter gemacht. Die Muskeln wären weiter angespannt, der Blutdruck und die Herzfrequenz hoch und die Körpertemperatur erhöht. Dieser Zustand ist immer dann hilfreich, wenn wir wirklich in Gefahrensituationen kommen. Ein ständiges Verharren in diesem Zustand ist jedoch nicht gesund und sollte vermieden werden.

Auf der Arbeit erleben mehr und mehr Menschen eine solche Gefahrensituation. Man wird schlecht bewertet, angemacht, gemobt, gehänselt und vieles mehr. Dadurch verharren Mitarbeiter in dieser Gefahrensituation und es entwickelt sich Stress. Die negativen Folgen von Stress auf die Leistung sind hoffentlich hinlänglich bekannt. Mehr Informationen zur Amygdala und Angst erhalten Sie bei LeDoux (LeDoux, 2001) oder unter „Angst und Stress reduzieren“.

Der anteriore zirculare Kortex (englisch: anterior cingulate Cortex; ACC)
Er wird immer dann aktiv, wenn man mit konflikthaften Informationen umgehen muss. Konflikthaft Informationen sind solche, die zu den motivationalen Zielen oder den Aufgaben die man erledigt nicht passen. Werden also Situationen wahrgenommen oder Handlungen initiiert die den Zielen zuwider stehen, dann wird der ACC aktiv. Er ist ein Überwachungssystem für Inkonsistenzen von Wahrnehmungen, Erwartungen und Zielen. Detektiert er eine solche Inkonsistenz, dann werden alle Kräfte des Hirns mobilisiert, um die Beibehaltung von Zielen zu ermöglichen. Der ACC und der PFC arbeiten eng zusammen. Ist der ACC unteraktiviert, dann unternehmen die Menschen nichts, um an der Situation etwas zu verändern. Sie haben resigniert. Ist der PFC unteraktiviert, dann schaffen die Menschen es nicht, ein zielgerichtetes Verhalten zu aktivieren (Davidson, 2016). Bei Depression ist der ACC unteraktiviert. Sie reagieren deshalb nicht mehr auf kritische Situationen und mobilisieren keine Kräfte, um etwas zu ändern (Drevets, 2008).

ACC

Der ACC scheint der entscheidende Teil für die Konsistenztheorie von K. Grawe (Grawe, 2004) zu sein. Konsistenz bezieht sich auf die Vereinbarkeit von neuronalen/psychischen Prozessen und zielt auf das psychische Funktionieren ab. Konsistenz ist den Grundbedürfnissen vorgelagert, die sich auf die Interaktion mit der Lebensumgebung bezieht. Es gibt 4 Grundbedürfnisse, Orientierung und Kontrolle, Lustgewinn/Unlustvermeidung, Bindungsbedürfnis, Selbstwerterhöhung/-schutz. Werden die Bedürfnisse häufig erfüllt, entwickeln sich annähernde motivationale Ziele. Bei Verletzung der Bedürfnisse entstehen dagegen häufig Vermeidungsschemata. Bei Inkonsistenz stören sich die gleichzeitig aktiven psychischen Prozesse. Zum Beispiel möchte man gerne mit einem Partner zusammen sein. Ins Spiel kommt dann auch unser Bedürfnis, die Situation kontrollieren zu wollen. Dadurch leiden aber wiederum die Beziehung und damit unser Bindungsbedürfnis. Diese Inkonsistenzen treten immer wieder im Leben auf. Nur wenn das Individuum erfolgreiche Mechanismen der Konsistenzregulation entwickelt hat, dann entwickelt es sich zur stabilen Persönlichkeit. Konsistenz rückt deshalb mehr und mehr in den Fokus der Führung.

Literaturverzeichnis

Baer, M., 2015. Neuroscience: Exploring the Brain. 4 Hrsg. s.l.:Lippincott Williams&Wilki.

Davidson, R., 2016. The Emotional Life of Your Brain. s.l.:Goldmann.

Drevets, W. C., 2008. The Subgenual Anterior Cingulate Cortex in Mood Disorders. CNS Spectr, 13 8, p. 663–681.

Grawe, K., 2004. Neuropsychotherapie. s.l.:Hogrefe.

Hebb, D., 1949. The organization of behavior. A neuropsychological theory. s.l.:Erlbaum.

Kandel, E., 2006. Auf der Suche nach dem Gedächtnis. Die Entstehung einer neuen Wissenschaft des Geistes.. s.l.:Siedler.

LeDoux, J., 2001. Das Netz der Gefühle. s.l.:Deutscher Taschenbuch Verlag.

Maguire, E. A., 2011. Acquiring “the Knowledge” of London’s Layout Drives Structural Brain Changes. Current Biology, 20 12, p. 2109–2114.

S., H.-H., 2009. Equal numbers of neuronal and nonneuronal cells make the human brain an isometrically scaled-up primate brain.. J Comp Neurol., 10 Apr , pp. 532-41.

Squire, L., 2009. The legacy of patient H.M. for neuroscience. Neuron , 1, pp. 6-9.

Stress und Angst

Stress ist eines der größten Probleme in der Arbeitswelt

Dauerstress ist für die meisten Menschen in Deutschland normal. Krankenversicherungen schätzen, das mindestens 20% (eher 30%) aller Deutschen permanent erschöpft sind. Sie glauben den vielen Anforderungen nicht mehr Herr zu werden und kommen aus dem Stress nicht mehr raus. In den meisten Firmen wird Stress als etwas vollkommen Normales gesehen. Viele glauben, dass Druck ein zuverlässiges Mittel ist, um Menschen zum Handeln zu bewegen. In der Tat, kann man mit Druck und Angst einen Menschen dazu bringen, etwas zu tun. Wenn Angst jedoch die Triebfeder ist, arbeitet man mit Widerwillen und ohne Motivation. So wird Leistung und Kreativität ganz dramatisch gesenkt. Das Gehirn ist im Dauerstress nicht leistungsfähig, denn die Energie wird in den Körper gepumpt. Wir sind pessimistischer, gereizter und fokussieren auf Probleme statt Lösungen. Stress ist somit der Leistungskiller Nr. 1 und bewirkt genau das Gegenteil, von dem was Firmen und Chefs wollen.

Heutzutage sind die Stressauslöser psychischer Natur

Angst ist ein schlechter Ratgeber, sagt man. Da ist etwas dran. Angst entsteht immer dann, wenn wir keinen befriedigenden Ausweg aus einer bedrohlichen Situation kennen. Und als Bedrohung empfinden wir nicht nur den Tiger oder den Verbrecher mit vorgehaltener Pistole. Bedrohungen sind in unserer Zeit subtiler geworden. Früher war der Bär oder der Mann mit dem Messer eine reale physische Bedrohung. Damit wir gegen diese physische Bedrohung etwas machen konnten, musste unser Körper, so schnell wie möglich in einen Zustand kommen, der einen Gegenangriff oder eine Flucht ermöglicht. Im Körper mussten Energien freigesetzt werden, um Leistung zu bringen. Heute sind die stressauslösenden Faktoren psychischer Natur. Das kann die EMail eines Kollegen oder Kunden sein, oder aber die heranrückende Deadline des Projekts. Besonders sensibel sind wir gegenüber Gesichtern. Schon das unwirsche Gesicht des Chefs oder eine kleine abfällige Zuckung wird als Bedrohung interpretiert und bewirkt Angst und Stress. Überlegen wir uns mal, wie oft so etwas geschieht, dann können wir uns gut vorstellen, warum die meisten von uns im dauergestressten Zustand sind.

Kortisol ist hilfreich, aber nicht immer

Wenn wir Angst haben, dann kommt es zuerst zu einer Reaktion des Nervensystems. Über den Sympathikus wird unser Körper in einen leistungsbereiten Zustand versetzt. Der Herzschlag und der Blutdruck steigen und die Körpertemperatur geht nach oben. Das geht rasend schnell. Wir können das manchmal bemerken, wenn wir uns erschrecken und ein Schauer durch unseren Körper läuft. Hat unser Gehirn keine Strategie parat, um mit der Situation umzugehen kommt es zum zweiten Schritt. Dann werden Hormone entlassen und das Nebennierenmark schüttet Kortisol und Adrenalin aus. Das bewirkt einen weiteren Anstieg unserer Herzschlages, eine erhöhte Temperatur, Zuckerausschüttung ins Blut und Schweißproduktion. Das ist notwendig, damit unser Körper sofort Höchstleistungen vollbringen kann. Weglaufen zum Beispiel, wenn wir in Gefahr sind.

Kortisol hat im Körper verschiedene Funktionen. Morgens hilft es uns beim Wach werden. Nachts übernimmt das Hormon Melantonin die Regentschaft und läßt uns schlafen und entspannen. Wird es morgens hell, dann steigt die Kortisolausschüttung und kurbelt unseren Kreislauf an. Es ist wichtig, damit wir in die Pötte kommen und Dinge anpacken. die Kortisolkonzentration hat jedoch einen optimalen Punkt. An diesem Punkt sind wir besonders leistungsbereit. Wird durch viele bedrohliche Situationen jedoch weiter Kortisol ausgeschüttet, dann wird dieser optimale Level schnell überschritten. Eine hohe Menge an Kortisol führt zu Stress. Die Folge sind eine verminderte kognitive Leistungsfähigkeit und eine geringere Kreativität. Unser Kortex wird heruntergefahren und wir können nicht mehr richtig denken oder gute Entscheidungen treffen.

Sehr hohe Kortisolkonzentrationen haben einen hemmenden Einfluss auf das Wachstum von Hirnzellen. Besonders Zellen im Hippocampus sterben durch zu hohe Konzentrationen ab. Da der Hippocampus maßgeblich an der Speicherung von Informationen beteiligt ist, kann man sich gut vorstellen, dass durch Stress auch das Gedächtnis leidet.

Im Stress greifen wir auf uralte Verhaltensmuster zurück

Bei Stress wird die Energie, die vom Hirn dringend gebraucht wird, abgezogen und für die Fluchtreaktion bereitgestellt. Der Körper benötigt die Energie, das Gehirn ist jetzt nicht so wichtig. Was auch logisch ist. Wenn man einem Säbelzahntiger gegenüber steht, dann muß man nicht nachdenken, sondern rennen oder kämpfen. Wir büßen so eine Großteil unserer kognitiven Fähigkeiten ein.

Was machen wir dann? Wenn wir nicht mehr richtig überlegen können und und unser Kortex nicht mehr funktioniert? Zum Glück hat das Gehirn noch ein paar alte Reaktionsprogramme auf die es zurückgreifen kann. Diese befinden sich in den Basalganglien, unserem Routinespeicher. Hier sind alle Routinen gespeichert, die wir ohne Bewusstsein ausführen können. Sie laufen in unserem Unterbewusstsein ab. Die drei Programme sind Flucht, Kampf oder Erstarren. Dabei ist es abhängig von der Situation und den Erfahrungen der Person, welche Strategie eingeschlagen wird. Im Falle von Flucht, verschwinden die Personen einfach, beim Kampf werden Sie einen Streit entfachen, während erstarrende Menschen einfach gar nichts machen. Sie versuchen möglichst regungslos die Situation zu überleben.

Unser Stress-Körper-Bewusstsein muss größer werden

Weil wir jedoch nur wenig Bewusstsein für unsere Leistungsfähigkeit haben, bemerken wir den Unterschied nicht. Und deshalb nehmen wir Stress auch nicht als allzu große Belastung war. Er gehört mittlerweile schon zum Leben. Die meisten Menschen bemerken zwar den Druck und fühlen Stress. Sie bemerken aber nicht, wie der Stress ihren Kopf lähmt. Das liegt auch häufig daran, das wir versuchen ihn zu ignorieren. Es hat sich in unser Unterbewusstsein die Denkweise eingeschlichen „Wenn wir ihn nicht bemerken, dann ist er auch nicht da“. Das ist leider ein Trugschluss. Viele Menschen rennen so in einen Burn-out und sagen dann „Ich hab es nicht kommen sehen“.

Ich plädiere deshalb für ein besseres Körperbewusstsein. Zwei Dinge funktionieren bei mir ganz gut, um das Bewusstsein zu stärken. Eine Übung ist recht einfach. Ich nehme mir ein paar Minuten Zeit und frage mich „Was fühle ich gerade?“. Dazu versuche ich die richtigen Begriffe für die Gefühle zu finden und sie mir laut zu sagen (Zum Beispiel „Ich fühle mich gerade klein, wütend, vernachlässigt“). Das ist gar nicht so einfach, weil es uns meist nur GUT oder SCHLECHT geht. Die richtigen Worte zu finden, fällt uns schwer und wir müssen das üben und lernen. Je mehr wir das machen, je besser wird unser Bewusstsein für unseren körperlichen Zustand. Je besser wird aber auch unsere emotionale Kontrolle. Es gibt einige Untersuchungen, die zeigen, das ein lautes Aussprechen des emotionalen Zustands, die Aktivität der Amygdala, um bis zu 50% senkt.

Eine andere Möglichkeit mit Stress umzugehen und mehr Körperbewusstsein zu entwickeln ist der Body-Scan. Das ist eine Meditationsform, bei der man Stück für Stück in seinen Körper hineinfühlt und bemerkt was sich dort gerade tut. Prickelt es, zieht es oder ist es dort besonders warm oder kalt. Es gibt dazu einige Anleitungen im Internet und einiges an Literatur. Am besten erscheint es mir aber, einen MBSR (Meditation based Stress reduction) Kurs zu machen. Der dauert 8 Wochen und es gibt in in jeder größeren Stadt. Man lernt viele verschiedene Meditationsformen, die nachweislich einen positiven Effekt auf die Stressreduktion, die Stärkung des Immunsystems und die Verbesserung der Konzentrationsfähigkeit haben.

Können wir sonst etwas gegen den Stress tun? Während die oben genannten Übungen eher mentaler Natur sind, können wir uns auch um unseren Körper kümmern und aktiv den Gegenspieler des Sympathikus, den Parasympathikus aktivieren. Der Sympathikus ist ja für die Aktivierung des Körpers verantwortlich, der Parasympathikus für die Entspannung. Der Parasympathikus ist während des Schlafens aktiv – das ist eine unserer besten Möglichkeiten zum Entspannen. Leider aktivieren wir oft aktiv unseren Sympathikus und schlafen dann schlecht. Schlaf-forscher geben deshalb folgende Empfehlungen

  • dunkles Schlafzimmer (denn Licht aktiviert den Sympathikus)
  • Kein Essen vor dem Schlafen
  • Kein Alkohol vor dem Schlafen
  • aufreibende Filme vermeiden
  • keine Emails oder andere Arbeiten am Computer
  • emotional stimulierende Aktivitäten vermeiden

Manchmal schlafen Menschen auch 8 Stunden, fühlen sich aber trotzdem wie gerädert. Schuld ist daran, das der Körper aufgrund der Sympahtikus-Aktivität nicht zur Ruhe kommt. Gehen Sie am besten zu einem Schlafspezialisten, der kann die Aktivitäten gut messen und noch weitere Tipps für einen gesunden Schlaf geben.

Ansonsten bin ich fest davon überzeugt, das es gut ist Sport zu machen, um Stress abzubauen. Das erhöht die Resistenz gegen Kortisol-spitzen und beschleunigt den Abbau. Daneben hilft Sport bei der Bildung von neuen Nervenzellen und stärkt das Immunsystem. Ich denke, Sie haben es gemerkt: Dem Stress zu begegnen ist nicht auf eine Technik begrenzt. Wir sollten verschiedene Techniken kombinieren und austesten was uns gut tut.

Literatur

Grawe, K., 2004. Neuropsychotherapie. s.l.:Hogrefe.

LeDoux, J., 2001. Das Netz der Gefühle. s.l.:Deutscher Taschenbuch Verlag.

Hüther, G., 2012 Biologie der Angst. Wie aus Streß Gefühle werden (Sammlung Vandenhoeck)

Feinstein, J; The Human Amygdala and the Induction and experience of fear; Current Biology 2011

Damasio, A.; Der Spinoza Effekt. Wie Gefühle unser Leben bestimmen. List Taschenbuch 2004