Gehirn: zelluläre Grundlagen

Das Gehirn ist sehr komplex und viele Geheimnisse seiner Funktionsweise wurden in den letzten Jahrzehnten entschlüsselt. Es ist zwar noch längst nicht alles bekannt, aber  für ein besseres Verständnis von Führung ist es sinnvoll, die biologischen und chemischen Grundlagen zu kennen. Ich halte mich hier bewusst kurz. Ausführliche Informationen zur Funktionsweise des Gehirns erhalten Sie in den entsprechenden Lehrbüchern der Neurowissenschaften. (Mir gefällt das Buch „Neuroscience“ von Mark Baer (Baer, 2015) als Einführung recht gut.)

Das Gehirn besteht aus Nervenzellen.

Das Gehirn ist sicherlich das komplexeste Gebilde, daß wir in unserem Körper haben. Je nach Körperbau ist es unterschiedlich groß. Im Durchschnitt wiegt es zwischen 1,2 und 1,6 Kilo. Die Größe des Gehirns hat jedoch mit der Intelligenz wenig zu tun. Albert Einsteins Gehirn zum Beispiel war, trotz seiner überragenden Intelligenz, kleiner als der männliche Durchschnitt. Wichtiger scheint die Qualität der Netzwerke zu sein, die von den Nervenzellen gebildet werden (Haier, 2007).

Das Gehirn besteht, wie alle unsere Organe, aus Zellen. Diese Zellen sind hoch spezialisiert. Die zwei Haupttypen von Zellen in unserem Gehirn sind Nervenzellen und Gliazellen. Nervenzellen sind in ihrer Funktionsweise am besten untersucht. Im Prinzip erhält jede Nervenzelle Signale von anderen Nervenzellen und leitet die Signale an andere Nervenzellen weiter. Gliazellen umgeben die Nervenzellen und dienen der Versorgung der Nervenzellen aber auch der Geschwindigkeitserhöhung der Signalweiterleitung. Zudem mehren sich Anhaltspunkte, dass Gliazellen auch bei der Informationsverarbeitung beteiligt sind. Wie genau, das muss die Forschung in Zukunft klären.

Die Menge an Nervenzellen im Gehirn ist riesig. Die meisten Artikel verweisen ohne Quellenangabe afu eine Zahl von 100 Milliarden Nervenzellen. Prof. Herculano-Houzel (Herculano-Houzel, 2009) korrigiert diese Zahl etwas nach unten und landet bei 86 (+/- 8) Milliarden Nervenzellen. Die Menge an Gliazellen wird häufig auf ein Vielfaches der Nervenzellen taxiert, ohne dafür die entsprechenden Artikel anzugeben. In dem Artikel (Herculano-Houzel, 2009) kommen Sie jedoch auf eine Zahl von 84 (+/-9) Milliarden. Was man auf jeden Fall korrigieren muss ist das Gleichsetzen der Menge an Nervenzellen im Hirn mit der Anzahl von Sternen im Universum. Die wird jedoch auf 400 Milliarden geschätzt, ist also noch wesentlich größer. Egal wem man glaubt, die Zahl von Nervenzellen und Gliazellen in Ihrem Hirn ist auf jeden Fall riesig. Und das ermöglicht letztlich die Verarbeitung von komplexen Informationen.

So sehen Nervenzellen aus

Es gibt viele verschiedene Typen von Nervenzellen, die unterschiedliche Strukturen aufweisen. Es gibt Motoneuronen, die Muskelzellen aktivieren. Es gibt sensorische Neuronen, die verschiedene Signale erfassen und weiterleiten, neuroendokrine Neuronen, welche Hormone ausschütten können, Interneurone mit kurzem Axon und andere mit langem Axon. Die grundsätzliche Struktur und Funktionsweise ist jedoch immer gleich.

NervenzelleSchema

Vom Zellkörper aus gehen hunderte kleiner Fortsätze aus. Diese nennen wir Dendriten. Des Weiteren gibt es neben den Dendriten einen langen Fortsatz, der sich am unteren Ende auf zweigt. Dies ist das Axon. Die vielen Verästelungen der Nervenzellen, dienen dem Aufbau eines Netzwerkes. So kann sich eine Nervenzelle mit vielen anderen Nervenzellen verbinden. Der Signaleingang findet an den Dendriten statt, wird über das Axon weitergeleitet und über die Verästelungen des Axons weitergeleitet.

Wie kommt es zur Signalübertragung?

Die Enden dieser Verzweigungen sind kleine Knubbel, die an andere Nervenzellen angrenzen. Diese kleinen Verbindungsstellen zwischen Nervenzellen nennt man Synapsen. An den Synapsen passiert etwas Erstaunliches. Die ankommenden Signale werden durch ein ausgeklügeltes System übertragen. Das Signal, das über die Zellmembran geleitet wird, ist ein elektrisches Signal. Es entsteht durch die ungleiche Verteilung von Ionen die durch die Zellmembran getrennt sind. Durch die Öffnung von spannungsabhängigen Kanälen können die Ionen auf die andere Seite gelangen und das Potential ändert sich. So ein Signal, man nennt es auch Aktionspotential, wird am Zellkörper gebildet und über das Axon zu anderen Nervenzellen geleitet. An der Synapse wird das elektrische Signal in ein chemisches Signal umgewandelt. Erreicht ein Aktionspotential die Synapse, dann werden Kanäle aktiviert, die zu einem Einstrom von Calcium Ionen führen. Der kurzfristige Einstrom bewirkt, das sich einige, der mit Neurotransmitter gefüllten Vesikel, in der Synapse mit der Zellmembran verschmelzen und den Neurotransmitter in den synaptischen Spalt abgeben. Die Neurotransmitter gelangen zur anderen Seite und können dort an Neurotransmitterrezeptoren binden. Bei Bindung wird wieder durch die Öffnung eines Natrium/Kalium-Ionenkanals ein elektrisches Signal generiert und dieses wieder weiter geleitet.

SynapseSchema

Es gibt viele unterschiedliche Transmitter im Gehirn. Die klassischen Transmitter sind Glutamat, GABA, Dopamin, Adrenalin, Acetylcholin oder Glycin. Wichtig ist hier zu bemerken, dass es sowohl Transmitter gibt, welche Signale generieren (Dopamin, Glutamat, Adrenalin) als auch solche, die Signale hemmen (Glycin. GABA). Das ist wichtig, denn nur durch das Zusammenspiel von aktivierenden und hemmenden Signalen kommt es zur Informationsverarbeitung. Hier mal ein vereinfachtes Beispiel: Denken Sie doch an Ihre Konzentration. Wie oft möchten an etwas arbeiten, aber ständig schießen uns andere Gedanken durch den Kopf und lenken uns ab. Wir können uns besser konzentrieren, je besser dieser Gedankentrigger gehemmt werden kann. Dazu sind die hemmenden Synapsen wichtig. Wir können den Aufbau dieser Synapse sogar trainieren und dadurch unsere Konzentration stärken. Mehr dazu unter „Mit Fokus Überlastung abbauen“

Die Festigung von bestehenden Synapsen

Je öfter man etwas wiederholt, je besser kann man sich etwas merken. Offensichtlich funktionieren die Netzwerke, die das Gehirn dazu benutzt immer ein Stückchen besser. Daran beteiligt ist ein Prozess, der Synapsen festigt, je öfter sie benutzt werden Er nennt sich „Long Term Potentiation“ oder LTP. Er funktioniert folgendermaßen: An einer Synapse bei der Glutamat der aktivierende Neurotransmitter ist, befinden sich zwei unterschiedliche Glutamat-Rezeptoren auf der Seite der Synapse, die das Signal erhält (Postsynapse). AMPA Rezeptoren werden schnell durch Glutamat aktiviert und es wird ein Signal ausgelöst. NMDA-Rezeptoren werden durch Magnesium blockiert und dann geöffnet wenn es zu einer Signalgenerierung kommt. Durch diese Rezeptoren fließt Kalzium. Je länger und öfter nun diese Synapse stimuliert wird, je mehr Kalzium kann in die Zelle fließen. So wird ein Signalsystem aktiviert, das zum Bau neuer Proteine anregt, welche die Synapse verstärken. Häufige Nutzung führt also zu einer Verstärkung der Synapse, die dadurch leichter erregbar ist. Des Weiteren führt dieser Prozess zum Aufbau neuer Synapsen in der Umgebung der aktivierten Synapse. Laut Nobelpreisträger Eric Kandel (Kandel, 2006) ist dieser Prozess wichtig für das langfristige Lernen.

LTPSchema

So arbeiten die Nervenzellen zusammen

Jede Nervenzelle ist über die Synapsen mit 1000-10000 anderen Nervenzellen verbunden und leitet an diese Signale weiter oder hemmt die eingehenden Signale. Das einzelne Neuron ist jedoch nicht wichtig. Bedeutungen und Informationen ergeben sich erst durch die Aktivierung von Netzwerken bzw. gleichzeitig aktivierte Neuronen. Es kommt auf das Muster der aktiven Neurone an. Hebb (Hebb, 1949) hat hier eine wichtige Regel aufgestellt, die sich in Versuchen vielfach bestätigt hat. „Cells that fire together wire together“ bedeutet so viel wie „Zellen die zusammen feuern wachsen zusammen“. Wenn wir also einen Stuhl sehen, dann feuern bestimmte Winkel, Farben, Kanten, Kontraste, Umrisse bestimmende Nervenzellen mit Nervenzellen, die diese simplen Informationen zusammen fügen. Nervenzellen arbeiten in Netzwerken und Hierarchien zusammen. Die Signale aus einfachen Mustern werden mit komplexen Zellen und dann noch weiter zu hyperkomplexen Zellen verbunden, so das immer komplexere Muster identifiziert werden können. Und so entstehen aus Farben, Winkeln usw. Gegenstände wie Tische, Stühle oder Gesichter, die auch wieder durch Neurone repräsentiert werden können. An einer simplen Repräsentation wie einem Tisch oder Stuhl sind wahrscheinlich schon tausende von Nervenzellen beteiligt. Und aus den verschiedenen Gegenständen, Gesichtern und Umgebungen werden Situationen, die rasend schnell vom Gehirn analysiert und bewertet werden. Und so gibt es zu jeder Situation auch eine bestimmte Ausstattung an Emotionen und Gefühlen.

Das hat für unsere  Wahrnehmung Konsequenzen. Denn wenn wir bestimmte Dinge zusammen wahrnehmen und erleben, dann werden Sie auch zusammen gespeichert. Haben wir an einem Ort im Park ein schlechtes Erlebnis, so wird im Kopf dieser Ort sehr wahrscheinlich negativ belegt sein. Haben wir auf der Arbeit negative Erfahrungen, dann passiert das gleiche. Wir können aber auch positive Erfahrungen machen, und die Umgebung dazu wird positiv assoziiert.

Für die Führung ergibt sich hier eine wichtige Frage: „Wollen wir die Arbeit zu einem Ort der positiven Gefühle oder der negativen Gefühle machen“? Und wenn wir Sie zu einem Ort der positiven Emotionen machen wollen, – wie machen wir das?

Literaturverzeichnis

Baer, M., 2015. Neuroscience: Exploring the Brain. 4 Hrsg. s.l.:Lippincott Williams&Wilki.

Davidson, R., 2016. The Emotional Life of Your Brain. s.l.:Goldmann.

Drevets, W. C., 2008. The Subgenual Anterior Cingulate Cortex in Mood Disorders. CNS Spectr, 13 8, p. 663–681.

Grawe, K., 2004. Neuropsychotherapie. s.l.:Hogrefe.

Hebb, D., 1949. The organization of behavior. A neuropsychological theory. s.l.:Erlbaum.

Kandel, E., 2006. Auf der Suche nach dem Gedächtnis. Die Entstehung einer neuen Wissenschaft des Geistes.. s.l.:Siedler.

LeDoux, J., 2001. Das Netz der Gefühle. s.l.:Deutscher Taschenbuch Verlag.

Maguire, E. A., 2011. Acquiring “the Knowledge” of London’s Layout Drives Structural Brain Changes. Current Biology, 20 12, p. 2109–2114.

S., H.-H., 2009. Equal numbers of neuronal and nonneuronal cells make the human brain an isometrically scaled-up primate brain.. J Comp Neurol., 10 Apr , pp. 532-41.

Squire, L., 2009. The legacy of patient H.M. for neuroscience. Neuron , 1, pp. 6-9.